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Han Kang – Deine kalten Hände

Mit ihrem neuen Roman, personell eher sparsam besetzt, führt uns die südkoreanische Autorin Han Kang in eine exotische wie kunstvolle Welt:

der Bildhauer Jang Unhyong arbeitet an ungewöhnlichen Gipsabdrücken, die er von unterschiedlichen, meist weiblichen, Modellen abnimmt. Oft sind es nur Teile des Körpers, die in Abgüssen oder Masken in Ausstellungen und im öffentlichen Raum präsentiert werden. Nach einer Theateraufführung, in der eine seiner Gipshüllen als Bühnenrequisit ausgestellt wurde, begegnet er der jungen Autorin H., die ihm eine für ihn fast schockierend intime Frage stellt nach dem „Warum“ für seine Art der Bildhauerei.

Eine Antwort erhält H. nicht, zu ihrer Überraschung schickt ihr die Schwester Unhyongs jedoch wenig später nach dessen unerklärlichem Verschwinden ein Manuskript zu, in dem U. genau dieser Frage nachgeht und, wie es scheint, selbst nach Antworten sucht. Dem Leser wird auf diese Weise ein Roman im Roman angeboten im Form eines Tagebuch U.´s, das Auskunft gibt über seine Suche im Leben, die Entwicklung seiner Kunst und die Faszination zu einer Frau, die ihm Modell steht für den Abdruck ihrer Hände, von denen er zahllose Varianten fertigt.

Dieser Beziehung ist der zweite Teil der Geschichte gewidmet, in der eine Abhängigkeit entsteht zwischen der jungen Studentin L., die mit ihrem unförmigen und übergewichtigen Körper in krassem Gegensatz steht zu Unhyongs Sehnsucht nach Klarheit und Ästhetik.
Die Faszination gewinnt Überhand, beide gehen eine Beziehung ein, die von L.´s Bulimie-Erkrankung überschattet wird und schließlich scheitern muss.

Während dieser mittlere Part der Story gelegentlich an etwas zu ausführlichen Schilderungen leidet, nimmt die Geschichte gegen Ende im dritten Teil wieder Fahrt auf. Immer noch aus seiner eigenen Sicht erzählt U. vom Kennenlernen der Innenarchitektin E., die ihm Aufträge verschafft, sich ihm seltsam emotionslos nähert und ihn gleichermaßen abstößt wie vereinnahmt. Die zwiespältigen Gefühle für E. beschreibt er als „so etwas wie Zuneigung aber auch das Gegenteil“. Das Stilelement, die in seinem Tagebuch handelnden Personen auf die Anfangsbuchstaben ihrer Namen zu reduzieren, schafft hierbei eine ungewöhnliche Authentizität und Distanz, die den Leser die seltsame Geschichte bis zum Ende aufmerksam verfolgen lässt.

Der Ausgang sei hier nicht verraten, spannend ist dieser Roman jedoch bis zum Schluss. Dies liegt nicht nur an den (für uns) unverbrauchten Orten der Handlung – Seoul und Gwangju in Südkorea – sondern besonders an der Unausweichlichkeit der Ereignisse, die Han Kang mit geradliniger Konsequenz erzählt.


Han Kang, Deine kalten Hände / Aufbau-Verlag 2019 / € 22,00
Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel